Mehr als etwas traurig

22.08.2017

Special #1: Leben mit psychischer Krankheit

Depression

Dieser Blogpost zum Special #1 habe ich ungefähr vier Mal geschrieben und wieder gelöscht und gefühlte tausend Mal verändert und umgeschrieben. Will ich das echt veröffentlichen? Soll ich mich zu erkennen geben?

Bild: Aline Götz, das Bild gehört Tabu-Schrank und darf nicht ohne Zustimmung verwendet werden.

Wenn nichts mehr geht

Ja, wo liegt sie? Die Grenze ist nicht immer einfach zu erkennen. Jeder Mensch ist immer wieder mal traurig und kann sich kaum für Irgendwas motivieren. Das ist doch das normalste der Welt. Es passieren im Leben halt nicht nur supertolle Dinge und wir wären ziemliche Eiswürfel, wenn wir nicht darauf reagieren würden. Bei mir wollte dieser Zustand aber nicht mehr aufhören. Und immer wenn ich dachte, dass es mir besser geht, tauchte ich noch tiefer und tiefer in das schwarze Loch der Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit. Alles ist mir schwer gefallen. Jede alltägliche Routine hat mich Unmengen von Kräften und Energie gekostet oder was erst gar nicht mehr zu bewältigen. Morgens aufstehen. Wozu? Ich hatte keine Motivation dazu. Etwas essen? Dafür müsste ich einkaufen und möglicherweise noch kochen. Ich war es mir nicht Wert. So ging es mir oft mit den einfachsten Dingen.

Für das Umfeld - eigentlich für mich auch - war das unverständlich. Ich bin doch eine lebendige, fröhliche Frau! Wo ist Diese hingegangen? Oft musste ich mir anhören, ich soll mich zusammenreissen oder nicht so faul sein. Nur leider konnte ich mich noch so anstrengen, ich hatte einfach nicht die nötige Kraft. Mein Leben kam mir so leer vor. Ich weinte viel. Sehr viel. Dazwischen immer wieder Zeiten, in denen es mir besser ging. Der Sonnenschein zwischen zwei Sintfluten oder so. So kann kein Mensch lange leben. Das geht weit über die "normale" Traurigkeit oder Antriebsloigkeit hinaus. Wer nichts gegen dieses Elend unternimmt, kämpft irgendwann mit Suizidgedanken. Ich musste einfach Hilfe bekommen!

"Irgendwann geht es alleine nicht mehr. Ewig kann man nicht künstlich die Sonne scheinen lassen. Man muss sich das Gewitter eingestehen und Hilfe annehmen. Anders hört der Regen nicht mehr auf."

Gespräche und zwei weisse Tabletten

Da war ich also. Im Warteraum der Psychologin. Total nervös. Was soll ich erzählen? Wo fange ich an? Muss ich weinen? Die Fragen beantworteten sich dann von ganz alleine. Eine sympathische Frau holte mich ab. Sie lächelte freundlich, aber nicht künstlich. Sie war mir vom ersten Augenblick an angenehm und ich konnte mir vorstellen, dass mir diese Frau V. aus dem Sumpf helfen könnte. Das Gespräch lief wie von selbst. Sie stellte Fragen und tastete sich so langsam an mein Innerstes heran. Das schaffte sie ohne mich blöd ausfragen zu müssen. Eigentlich fühlte es sich mehr an, wie ein normales, tiefgründiges Gespräch. Da Frau V. keine Ärztin war, konnte sie auch keine Diagnose stellen. Das war erstmal auch nicht nötig. Die Gespräche mit ihr haben mich geöffnet und ich konnte meinen Gefühlen Luft verschaffen. Eine Zeit lang ging es mir sogar ziemlich gut. Leider nicht sehr lange. Frau V. und ich waren uns einig, dass ich eventuell ein Hilfsmittel gebrauchen könnte. Wer ein gebrochenes Bein hat, bekommt Gehhilfen. Nicht für immer. Nur bis das Bein verheilt ist. Bei mir wurde zur Unterstützung ein Antidepressivum empfohlen. Frau V. organisierte ein Gespräch zu dritt mit einem Arzt. Damit ich dem Arzt nicht nochmal meine ganze Geschichte auftischen musste, hatte ihm Frau V. vor dem Termin meine Akte zum Lesen gegeben. Für ihn war die Diagnose "mittelschwere Depression" klar. Er hat mir empfohlen, mit der Therapie bei Frau V. fortzufahren und zur Unterstützung diese zwei weissen Tabletten einzunehmen. Nur solange ich sie brauche. Wie die Gehhilfen beim Beinbruch. Ich stimmte zu. Noch am gleichen Tag habe ich damit angefangen.

Die Welt ist bunt und lebendig

Es vergingen einige Wochen, bis die gewünschte Wirkung der Tabletten einsetzte. Plötzlich konnte ich die Sonne hinter den Wolken hervorblinzeln sehen. Der Alltag wurde leichter und immer leichter. Ich konnte wieder Freude spüren und die schönen Dinge im Leben sehen. Endlich. Kein täglicher Kampf mehr mit mir selbst. Keine Fesseln mehr, die mich nicht aus dem Bett kommen lassen. Keine Tränen mehr, deren Ursache ich schon lange nicht mehr kannte. Ich konnte wieder Farben sehen und mit einem Lächeln auf dem Gesicht durch die Strassen gehen. Ich spürte Energie in mir und Spass, Freude, Liebe, Wärme. Ja, ich konnte einen Sinn erkennen. Einen Sinn, warum ich lebe und weiterleben will. Ich konnte mich wieder mögen.

"Ich wusste wieder, dass mein Leben schön ist und ich nicht aufgeben darf. Dass ich weiterkämpfe und an mir arbeite, bis ich auch ohne die Tabletten wieder diese Lebendigkeit spüre."

Verständnis statt Vorwürfe

Wenn ich höre wie einige Leute reden, dann könnte ich ausrasten vor Wut. Wahrscheinlich wissen sie es nicht besser und trotzdem urteilen sie drauf los. Ich meine damit die Sprüche wie "Reiss dich zusammen!", "Du hast doch ein schönes Leben also sei dankbar!", "Du bist faul und schlampig!", "Bist du eigentlich unfähig?", und so weiter. Ich könnte die Aufzählung noch lange ergänzen. Klar ist es für Familienangehörige oder Freunde oft unverständlich. Niemand will an Depressionen denken. Man will den Betroffenen einfach möglichst schnell vom Boden aufheben und dann soll das Leben normal weiter gehen. Es ist auch nicht verständlich, dass jemand, der ein eigentlich gutes Leben hat, plötzlich am Boden zerstört ist und nicht mehr aus dem Bett kommt. Mit Vorwürfen hilft man aber niemandem. Wenn wirklich eine Depression vorliegt, dann wird sich diese Person nicht einfach so schnell schnell aufraffen können. Sie wird durch solche Vorwürfe wohl eher noch tiefer in die Depression rutschen. Klar, es ist gut, wenn man zu der betroffenen Person ehrlich ist und ihr sagt, wie man sie wahrnimmt, was man für Veränderungen beobachtet und dass man sich Sorgen macht und sie gerne bei der Suche nach geeigneter Hilfe unterstützen möchte. So zeigt man Interesse und die betroffene Person fühlt sich ernst genommen, gesehen und nicht alleine. So kann sie sich dann vielleicht jemandem anvertrauen und sich Hilfe holen. Mit Vorwürfen und Anschuldigungen würde man wohl auf Ablehnung stossen.

Ja, in diesem Blogpost geht es um mich selbst. Ich habe mich hier für euch geöffnet und das hat mich viel Mut gekostet. Ich möchte euch damit auch Mut machen. Wenn es euch nicht gut geht, wartet nicht zu lange und vertraut euch jemandem an. Reden Hilft!

Hilfsangebote für Betroffene und Angehörige

Es gibt verschiedene Angebote für Betroffene aber auch für ihre Familien oder Freunde.

Hier könnt ihr euch über das Thema Depression informieren: Depression

In meinem Blogpost "Bitte hilf mir!" findet ihr ganz unten eine Liste mit Telefonnummern verschiedener Hilfsangeboten: Blogpost


Ich wünsche euch alles Gute! Bis zum nächsten Post.

Herzlich, Alinee


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